„Altwerden ist immer noch die einzige Möglichkeit lange zu leben.“ Hugo von Hofmannsthal brachte es auf den Punkt. Obwohl die Gesellschaft immer älter wird und die demographische Entwicklung als Aufforderung gelten sollte, wird das Alter oft ausgeblendet. Das Gesundheitssystem orientiert sich an akut erkrankten Normpatienten, die jung und mittleren Alters sind. Experte Prim. Dr. Peter Dovjak klärt über die Bedeutung der Geriatrie (Altersheilkunde) und deren Herausforderung für die Zukunft auf und dass „Altersmedizin“ auch etwas mit einer wertschätzenden Grundhaltung zu tun hat.
Das Alter wird traditionell als Defizitmodell gesehen
„Das Alter sehen wir traditionell als Defizitmodell – alles wird schwieriger und schlechter“, weiß Prim. Dr. Peter Dovjak. Nicht nur er persönlich sieht es anders, sondern auch wissenschaftliche Studien zeigen ein weitaus positiveres Bild. Ein großer Teil der alten Menschen sind mit ihrem Leben zufrieden. Ältere Menschen profitieren vom Sterblichkeitsrückgang der vergangenen Jahrzehnte.
Die weitere Lebenserwartung eines 65- jährigen Menschen stieg auf 20,6 Jahre bei Frauen und 17,2 Jahre bei Männern. In diesem Zeitraum kam es auch zu einer Verbesserung des subjektiven Gesundheitsempfindens. Zum Glück ist der Mensch mehr als eine funktionierende Maschine. In seiner Ganzheit gesehen, hat das Alter auch etwas mit Freiheit, Kompetenz und Erfahrung zu tun.
„Alte Menschen haben oft sehr große Potenziale, die gefördert werden sollten, statt den Fokus auf die Defizite zu lenken“, sagt Prim. Dr. Peter Dovjak, Leiter der Abteilung Akutgeriatrie/Remobilisation am LKH Gmunden und Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Geriatrie und Gerontologie. Werte und Einstellungen verschieben sich im Alter. „So wird der Verlust der Selbstständigkeit von einem Jungen völlig anders bewertet als von Alten“, weiß Prim. Dr. Dovjak. „Alte Menschen sind oft viel fokussierter und klarer und weniger oberflächlich, weil sie nicht mehr ewig Zeit haben. Selbst der nachlassenden Gehirnleistung im Alter steht ein gutes kristallines Gedächtnis gegenüber. Das bedeutet die Fähigkeit vernetzter zu denken, Dinge besser einzuordnen, auf Erfahrungen zurückzugreifen und damit mehr Gelassenheit zu entwickeln.
Die Altersmedizin betrachtet den Menschen mit seinem Umfeld als Einheit und sie konzentriert sich darauf Ressourcen zu fördern, um eine Pflegebedürftigkeit so weit als möglich hinauszuschieben.
Warum es eine eigene Altersmedizin braucht?
Die demographische Entwicklung unterstreicht, dass ältere Menschen mit ihren individuellen Bedürfnissen vor allem in Zukunft einen zentralen Stellenwert einnehmen werden. Das heutige Gesundheitssystem orientiert sich an akut erkrankten NormpatientInnen. Diese sind jung oder mittleren Alters. Doch alte und hoch betagte Menschen haben andere medizinische Bedürfnisse. „Häufig leiden sie unter mehreren Erkrankungen und sie sind empfindlicher“, sagt Prim. Dr. Dovjak.
Durch die natürliche Entwicklung vermindern sich die Organreserven und damit die Fähigkeit auf extreme Belastungen zu reagieren. Auch die Muskeln und Gelenke verändern sich. Eine wenig bedrohlich erscheinende, akute Erkrankung kann so zum Verlust der Selbstständigkeit führen. Es gilt eine angemessene Art der Behandlung für den Betroffenen zu finden.
Die Erfahrungen zeigen dies eindrucksvoll, auch bei der Behandlung der Herz-Kreislauferkrankungen. So verlangen Klappenerkrankungen, Herzschwäche oder Hoher Blutdruck im Alter andere Behandlungsformen. Das Selbe gilt bei Krebserkrankungen. Ältere Menschen benötigen häufig auch längere Behandlungszeiten. Die Altersmedizin nimmt darauf Rücksicht. So beträgt die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in der Akutgeriatrie im LKH Gmunden etwa 14 Tage. Das ist im Vergleich mit einer Internen Abteilung drei Mal so lange, mit einer Unfallabteilung sogar vier Mal so lange.
Stürze von alten Menschen sind selten Ausrutscher
Oft werden PatientInnen von anderen Stationen übernommen. Häufiges Beispiel: Schenkelhalsbruch. „Nicht weil sie ausgerutscht sind, stürzen die PatientInnen, wie diese meist annehmen, sondern durch eine vorbestehende Gangstörung oder Abbau der Muskelmasse verlieren die Betroffenen leichter das Gleichgewicht und stürzen deshalb“, sagt Prim. Dr. Dovjak. Präventive Maßnahmen können das Risiko reduzieren. Nicht zu unterschätzen sind auch die psychologischen Folgen.
Ein Sturz kann für einen alten Menschen traumatisch sein, vor allem wenn dieser oft stundenlang verletzt am Boden liegt und darauf wartet, dass Hilfe kommt. Das fördert die Angst vor dem nächsten Sturz. Wer sich aus Furcht weniger bewegt, wird noch sturzanfälliger. Aus Angst in ein Pflegeheim zu kommen, werden Stürze und Schmerzen oft verheimlicht.
„Auch für das Wiedererlangen des Selbstvertrauens ist es wichtig, den Ursachen auf den Grund zu gehen“, versichert Prim. Dr. Dovjak. Muskelschwund, aber auch chronische Erkrankungen wie Diabetes, Herzrhythmusstörungen, Osteoporose oder Demenz erhöhen das Sturzrisiko.
Polypharmazie als weitere Herausforderung
Prim. Dr. Dovjak: „Ein Hauptthema, das uns außerdem beschäftigt ist die Polypharmazie. Also das Zusammenwirken von mehreren verordneten Medikamenten.“ All diese Umstände werden in der Akutgeriatrie und Remobilisation besonders mitbedacht und behandelt. Betagte Patienten benötigen oft Akutmedizin und gleichzeitig Rehabilitation. Sie haben acht Diagnosen im Durchschnitt, die alle behandelt werden müssen, weil der Mensch in seiner Gesamtheit gesehen werden muss. Sie leiden an Krankheiten und Unfallfolgen gleichzeitig. Sie benötigen für alles mehr Zeit und wollen vor allem eines nicht: In ein Pflegeheim.
Selbstbestimmung der Betroffenen ist oberstes Prinzip
Die Geriatrie ist ein Spezialgebiet der Medizin. Sie ist jedoch nicht nur eine Spezialisierung der Inneren Medizin, sondern eine umfassende Disziplin, die Kenntnisse und Fähigkeiten auch aus anderen Fächern wie Neurologie/Psychiatrie, Urologie/Gynäkologie und Unfallchirurgie/Orthopädie voraussetzt. Die Geriatrie umfasst die präventive, kurative und rehabilitative Betreuung älterer Patienten. Überschneidungen gibt es auch mit der Palliativmedizin am Lebensende. Geriatrische Patienten sind häufig mehrfach oder langwierig erkrankt, in ihrer Beweglichkeit, in den Aktivitäten des täglichen Lebens und ihrer Kommunikationsfähigkeit beeinträchtigt und sowohl gesundheitlich als auch sozial belastet.
„Die Selbstbestimmung der Betroffenen ist daher oberstes Prinzip“, sagt Prim. Dr. Dovjak. Es bedarf spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten sowie ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein, um bei geriatrischen PatientInnen ethisch vertretbare Entscheidungen für die Auswahl von Diagnose- und Therapieverfahren zu treffen. Die Anfänge der Geriatrie und die Entwicklung in OÖ Die Anfänge der Geriatrie gehen an den Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Ein in Wien geborener Amerikaner, Ignatz Leo Nascher, prägt den Begriff „Geriatrie“ (Altersmedizin) und publizierte 1914 ein erstes Lehrbuch. In Österreich dauerte der Durchbruch relativ lange.
1956 wurde die Österreichische Gesellschaft für Geriatrie gegründet und 1999 die erste Akutgeriatrie eröffnet. In Oberösterreich erkannten die Verantwortlichen die Bedeutung früh. 2002 gab es im ehemaligen Buchberg bereits eine Akutgeriatrie/ Remobilisation (heute im LKH Gmunden integriert). Inzwischen steht Oberösterreich mit zwölf trägerübergreifenden Akutgeriatrien deutlich besser da, als andere Bundesländer“, sagt Prim. Dr. Dovjak, der mit zu den Pionieren in der Altersmedizin zählt.
In Österreich gibt es derzeit rund 1.000 Geriatrie- Zusatzfachärzte. Erst im Vorjahr wurde die Ärzte- Ausbildung um das Zusatzfach „Geriatrie“ erweitert.