Nach intensiven Verhandlungen ist es kürzlich gelungen, eine tragfähige Lösung für den Erhalt und die Zukunft des Thomas-Bernhard-Archivs und somit zur wissenschaftlichen Betreuung des literarischen Nachlasses von Thomas Bernhard zu finden, die Einrichtung am Standort Gmunden zu erhalten und langfristig zu sichern. Die nunmehr vereinbarte, Länder übergreifende Zusammenarbeit wird der Bedeutung des Werkes Thomas Bernhards, der weder ein oberösterreichischer noch ein Salzburger (oder Wiener) Autor ist, gerecht.
Geschichte des Thomas-Bernhard-Archivs, Aufgaben und Zukunft
Dr. Peter Fabjan, Bruder und Erbe von Thomas Bernhard, hat mit der Thomas-Bernhard-Privatstiftung im Jahr 1998 eine Institution für einen entsprechenden Umgang mit dem Werk Thomas Bernhards begründet; in diesem Rahmen sollte der literarische Nachlass des Autors für eine wissenschaftliche Bearbeitung und forschungsgeleitetes Interesse zugänglich gemacht werden.
Bis Herbst 2001 war der Nachlass Thomas Bernhards in seiner Gmundner Wohnung in der Lerchenfeldgasse, die als provisorisches Archiv diente, untergebracht. Nach einer sorgfältigen Standortsuche unter Einbeziehung einer Sachverständigenkommission und entsprechenden Umbaumaßnahmen konnte ein geeigneter Standort für das Archiv gefunden werden.
Standort und Baugeschichte
Sitz des Thomas-Bernhard-Archivs ist die die sogenannte „Kleine Villa Toscana“ bzw. Villa Stonborough-Wittgenstein in Gmunden, — zwischen 1842 und 1849 für Freiherrn Christoph von Püttel, „k.k. pensionierter Oberst-Lieutenant in Ort“ im Biedermeier-Stil errichtet. Leopold II., Großherzog der Toscana, kaufte sie nach dem Tod des Besitzers, sie wurde der schon im großherzoglichen Familienbesitz befindlichen großen Schlossvilla mit Park einverleibt. 1913 erwarb Margaret Anna Stonborough-Wittgenstein (die Schwester des Philosophen Ludwig Wittgenstein) die Villa Toscana.
Die 1999 unter Denkmalschutz gestellte Anlage befindet sich im Besitz des Landes Oberösterreich. Nach wie vor beeindruckt die besondere Lage mit Landschaftsgarten und einem Gebäudeensemble der Sommerfrischekultur des 19. Jahrhunderts. Die Villa Stonborough wurde behutsam, unter Erhalt der Bausubstanz, renoviert, — u.a. wurde der gewölbte Säulenraum wiederhergestellt, — und konnte am 16./17. November 2001 mit einem Festakt an das Archiv übergeben werden.
Das Archiv ist eine Einrichtung der Thomas-Bernhard-Privatstiftung, das Gebäude wurde und wird vom Land Oberösterreich zur Verfügung gestellt. Neben den literarischen Nachlässen von Thomas Bernhard und Johannes Freumbichler verfügt das Archiv über eine umfangreiche Fachbibliothek, Pressedokumentation, Theater-sammlung, eine reichhaltige Sammlung von Photographien und audiovisuellen Dokumenten sowie eine biographische Sammlung.
Am Archiv wird, neben anderen Aufgaben, eine Werkausgabe aller noch zu Lebzeiten Bernhards veröffentlichten Texte betreut, herausgegeben von Wendelin Schmidt-Dengler († 2008) und Martin Huber. Diese Werkausgabe wird 22 Bände umfassen; bisher sind 20 Bände im Suhrkamp Verlag, Frankfurt / Main – Berlin, erschienen, zuletzt der Band zu „Heldenplatz“. Die wissenschaftliche Leitung des Archivs liegt bei Dr. Martin Huber, Dr. Bernhard Judex ist Mitarbeiter im Archiv.
Die Kooperation: Thomas-Bernhard-Privatstiftung, Land OÖ, Universität Salzburg — Ziel, Inhalte der Vereinbarung:
Ziel des in zahlreichen Verhandlungen entwickelten Kooperationsvertrages ist es, die Zukunft des Thomas-Bernhard-Archivs langfristig und institutionell abzusichern und gleichzeitig die Autonomie der Einrichtung zu bewahren. Die in bester Atmosphäre über Bundesländergrenzen und unterschiedliche Strukturen hinweg geführten Gespräche haben zu einem guten Ergebnis geführt.
Wesentlicher Inhalt der Vereinbarung ist die Absicherung des Thomas-Bernhard-Archivs, als „Forschungsinstitut der Thomas Bernhard Privatstiftung mit dem Literaturarchiv der Universität Salzburg und dem Adalbert-Stifter-Institut des Landes Oberösterreich“.
Die Thomas-Bernhard-Privatstiftung / Dr. Peter Fabjan bringt den Nachlass des Autors ein, die Universität Salzburg und das Land Oberösterreich die finanziellen Mittel für den laufenden Archivbetrieb und das Land zusätzlich das Gebäude sowie die anfallenden Hausbetriebskosten. Die Kooperation wird darüber hinaus in gemeinsamen Aktivitäten zum Ausdruck kommen. So ist zum Auftakt der Zusammenarbeit eine Festveranstaltung in Gmunden im kommenden Jahr geplant.
Thomas Bernhard und Oberösterreich
Thomas Bernhard hat sich auf der Suche nach Schreib- und Lebensorten durch den Ankauf von Liegenschaften in Ohlsdorf, Ottnang und am Grasberg (Gmunden / Altmünster) und deren Gestaltung ab Mitte der 60er Jahre in gewisser Weise für dieses Land entschieden, und sich sehr bewusst mit Land und Landschaft auseinandergesetzt, er hat hier geschrieben und ist hier gestorben, — oberösterreichische Topographie ist im Werk Bernhards eingeschrieben. (Vom Kobernaußerwald bis zur Aurach, Wolfsegg u.v.a.)
Dr. Fabjan hat die Entscheidung für den Archiv-Standort Oberösterreich bekräftigt und ist bereits im Zusammenhang mit der Gründung der Thomas-Bernhard-Privatstiftung 1998 mit der Frage nach Möglichkeiten einer Kooperation an das Land herangetreten.
Umfeld, Aktivitäten des Landes OÖ:
Künstlerwohnung, Veranstaltungen, Ausstellungen, Publikationen, Förderung Das Engagement des Landes Oberösterreich um Bernhards Werk ist getragen von dem Respekt vor einer Künstlerpersönlichkeit wie auch von einem kulturpolitischen Auftrag, — Forschung und Vermittlung, Bewahrung des kulturellen Erbes und zeitgenössische Kunst stehen gleichberechtigt nebeneinander.
Im Nebentrakt der Villa Stonborough-Wittgenstein wurde vom Land Oberösterreich eine Atelierwohnung eingerichtet, in der Künstlerinnen und Künstler verschiedener Sparten in Gmunden leben und arbeiten können. Dieses Stipendiatsprogramm wird von der Kunstsammlung des Landes OÖ getragen, bisher gab es etwa 100 Aufenthalte.
1984 fand in Linz, ORF Landesstudio, das erste österreichische Thomas-Bernhard-Symposion statt, im Jahr 2000 veranstaltete das Land Oberösterreich gemeinsam mit dem ORF, Landesstudio OÖ einen Diskussionsabend zum Thema: „Was wird von Thomas Bernhard bleiben?“ mit Marcel Reich-Ranicki und Wendelin Schmidt-Dengler. Nach einer Ausstellung zu Bernhards Großvater Johannes Freumbichler (ab 1999 Ohlsdorf u.a., Mittermayer / Karlhuber, mit Begleitpublikation Rampe-Sondernummer) konnte die Erweiterung „Thomas Bernhard und seine Lebensmenschen. Der Nachlass“ seit 2001 an zahlreichen Orten im In- und Ausland gezeigt werden (Wien, Linz u.a., Huber / Mittermayer / Karlhuber, mit Katalog).
Begleitend zum Projekt Bernhard-Archiv wurden Vorträge zum Thema in der philosophisch-literarische Reihe mit sechs Bändchen zu Thomas Bernhard (u.a. von Wendelin Schmidt-Dengler und Hans Höller) veröffentlicht. Das StifterHaus nimmt sich der Vermittlung des Bernhardschen Werkes in Ausstellungen, Publikationen und einer jährlichen Gedenkveranstaltung zum Bernhard-Geburtstag im Februar an.
Darüber hinaus werden Veranstaltungen und Projekte zu Thomas Bernhard vom Land OÖ gefördert und beispielsweise auch das als Museum und Veranstaltungsort geführte Bernhard-Haus in Ohlsdorf, Obernathal 2 unterstützt.
Archiv und Region
Das OÖ. Literaturarchiv im StifterHaus zeigt, wie in der Verbindung von Forschung und Vermittlung überregionale Impulse zur Auseinandersetzung mit einem Werk erreicht werden können. Auch das Beispiel des Thomas-Bernhard-Archivs beweist, dass eine Forschungsstätte gewissermaßen lebendige Erinnerung an ein künstlerisches Werk sein kann, und als dezentrale Einrichtung in besonderer Weise auch ein Signal dafür, dass Kunst nicht dem Zentralraum vorbehalten ist, dass künstlerische und wissenschaftliche Arbeit einen Ort braucht, aber nicht zwangsläufig zwischen „Provinz und Welt“ entscheiden muss.